Wein Wissen: Auge, Nase, Gaumen – Freude
Jonas Ettlin erklärt: richtige Degustation
Ein Glas Wein ist eine schöne Sache und das sollte es auch bei einer Degustation bleiben. Es gibt zwar eine technische Art, Wein zu verkosten, doch ist für den Weinliebhaber ein hedonistisches Tasting passender – schon alleine deshalb, weil das - wie der Name verspricht - Freude bereitet.
Wenn man einen Wein vor sich hat, dann geht es darum, alles in Betracht zu ziehen. Das beginnt beim Einschenken und geht danach beim Wein im Glas weiter. Zunächst sollte man den Wein riechen. Bei dieser „ersten Nase“ erfahren wir, wie der Wein aus der Flasche kommt. Wenn der Wein im Glas ist und man ihn das erste Mal gerochen hat, ist genug Zeit ihn sich anzuschauen. Beim „Auge“ nimmt man den Wein im Glas wahr und beurteilt seine Schönheit: Welche Farbe hat er, ist er trübe, klar oder glänzt er vielleicht.
Erst danach wird der Wein im Glas geschwenkt, wobei er belüftet wird und somit Sauerstoff aufnimmt. Unter Umständen riecht der Wein dann - bei der „zweiten Nase“ - ganz anders. So kann nachvollzogen werden, ob der Wein sich entwickelt und ob er eventuell noch Zeit braucht, bevor er getrunken wird. Das Schwenken ist eine grosse Sache, die etwas Übung bedarf. Um den Teppich nicht mit Cabernet zu färben, empfiehlt es sich, bei Gelegenheit mit Wasser zu üben.
Nach Auge und Nase kommt der Teil, der am meisten Freude macht: der Gaumen. Der Wein bleibt ungefähr 10 Sekunden im Mund. Damit bleibt genug Zeit, um die Aromatik zu erkennen und die verschiedenen Facetten wahrzunehmen. Was beim Degustieren genau passiert, ist spannend. Beim Riechen nimmt das Riechorgan verflüchtigte Aromen auf, die von Rezeptoren wahrgenommen resp. entschlüsselt werden. Von dort aus gelangen die Informationen ins Gehirn – dem limbischen System -, wo der Geruch „erkannt“ wird. Das limbische System hat jedoch einen Haken: Es ist auch unser Emotionszentrum. Jeder kennt das Phänomen: Im Urlaub – vielleicht in Griechenland oder Italien –trinkt man in einer kleinen Beiz den besten Wein seines Lebens. Man investiert Zeit und Energie, um den Wein nach Hause mitzunehmen, nur um dann festzustellen, dass er eigentlich ungeniessbar ist. Uns ging es im Urlaub einfach zu gut, was unseren Geschmacksinn euphorisiert hat.
Am Gaumen kommt der Wein beim Trinken zunächst in Kontakt mit der Zunge, wo die Rezeptoren die fünf Geschmäcker salzig, süss, bitter, sauer und umami wahrnehmen. Lange wurde geglaubt, dass die Zunge Geschmacksfelder für jeden Geschmack hat, doch haben neurowissenschaftliche Untersuchungen diese nicht beweisen können. Vielmehr schmeckt die ganze Zunge alles.
Nach Auge und Nase kommt der Teil, der am meisten Freude macht: der Gaumen.
Das spannendste beim Wein ist die Aromatik. Im Mund kommt der Wein mit dem Speichel in Berührung, der mit Enzymen Moleküle löst, die die Aromatik ausmachen. Diese verflüchtigten Aromen werden „retronasal“, d. h. über die Verbindung zwischen Gaumen und Nase zur Nasenschleimhaut transportiert und dort wie beim Riechen wahrgenommen. Deshalb werden beim Schnupfen wohl Geschmäcker aber keine Aromen mehr erkannt. Wenn viele Aromen aus verschiedenen Aromengruppen vorkommen spricht man im Übrigen vom komplexen Wein, was bei grossen Weinen gesucht wird. Der Abgang beschreibt den Nachhall, den ein Wein nach dem Schlucken hinterlässt: Die Aromen und der Eindruck, der dann noch bleibt.
Adrian Van Velsen degustiert Pinot Noir Prestige für vvwine.ch
Es bleibt die Frage nach dem Ausspucken oder Trinken. Beim hedonistischen Tasting empfehle ich, den Wein zu trinken. Das Ausspucken hilft im professionellen Kontext bei vielen Degustationen einen klaren Kopf und Geschmackssinn zu behalten und nicht glücklich beschwipst zu sein. Allerdings sollte man zwischen den Weinen den „Gaumen“ reinigen. Das Mittel der Wahl ist Wasser, damit man mehrere Weine unvoreingenommen hintereinander degustieren werden können.
Jeder ist aufgefordert die Weine zu finden, die einem schmecken und die man gerne hat. Es ist wichtig, dass man dem Wein die Chance gibt, Freude zu bereiten; ihn anschaut, riecht und auch am Gaumen Zeit gibt. Wenn man den Wein zu schnell trink, wie es im Volkskonsum üblich ist, geht viel Spass verloren. Der Blick auf Etikett oder Preis ist dabei unwichtig. Um es mit dem französischen Schriftsteller Brillat zu sagen: „De gustibus non est disputandum!», über Geschmack lässt sich nicht streiten.