Frostige Aussichten

Was passiert mit den Reben in Frostnächten?

Wenn er kommt, ist er ein grosses Thema: Väterchen Frost. Im Frühjahr gefährdet er die Arbeit der Winzer für das kommende Jahr und er fordert sie in langen und kalten Nächten heraus.

Gefrorener Rebsaft vor dem Austrieb.

Gefrorener Rebsaft vor dem Austrieb.

Es gibt zwei Arten von Frost, wobei nur der Spätfrost resp. der Frühjahrsfrost in Europa von Bedeutung ist. Der Winterfrost ist in der Schweiz kein Problem, weil die Pflanzen sich „im Winterschlaf“ befinden und keinen Frostschaden nehmen. Erst nach Tagen unter minus 25 Grad nehmen die Reben dann Schaden und sterben ab. Solche Temperaturextreme kommen jedoch in Kanada und Nordwestchina vor. Dort werden die Reben im Herbst eingegraben, damit die extra Erde die Pflanzen vor dem Frost schützt.

Der Frühjahrsfrost kommt spät im Frühjahr, wenn die Reben wieder im Saft stehen. Falls die Reben bereits ausgetrieben haben, ist ein Frost verheerend. Wein wächst von der Spitze des Triebes her und wenn dieser Apex abstirbt, wird der Trieb nicht weiterwachsen und der Schoss wird weder Blätter noch Trauben tragen.Als Knospe ist der Jungtrieb zwar noch vor der Kälte geschützt, doch wenn die Wein-Rebe ausgetrieben hat, gefriert die Zellflüssigkeit im Inneren und zerstört durch die Ausdehnung des Wassers die Zellen und tötet damit den Schoss.

Die Weinrebe stirbt dadurch nicht, aber sie schaltet in ihren „Überlebensmodus“. Jede Weinrebe hat Nebenaugen oder Reserveknospen, die dann austreiben, wenn der „normale“ Schoss kaputt geht. Die Reben und Weinberge werden im Sommer kaum anders aussehen - es wird eine kräftige grüne Blätterwand wachsen, nur wird die Weinrebe in diesem Jahr hochgradig unfruchtbar sein und nur wenige Trauben haben. Ein Frost, wenn alle Augen offen sind, bedeutet für einen Winzer eine Einbusse von 80 % der normalen Ernte – die Höchststrafe. Schon zu Beginn der Vegetationsphase kann man alles verlieren. Es gibt Forstversicherungen, die in der EU subventioniert und in der Schweiz von Winzern selbst getragen werden, doch ersetzen die nur den Geldwert – ein Winzer möchte jedoch auch Wein machen und anbieten.

Rebschoss im Schnee for Frostnacht 2016 (Kartause Ittingen)

Rebschoss im Schnee for Frostnacht 2016 (Kartause Ittingen)

Eine Frostnacht wird somit zu einer Kampfansage an Winzer, die ihr Bestes geben müssen, um ihre Ernte zu retten. Im Prinzip versuchen Winzer die Temperatur in den Reben soweit anzuheben, dass die Triebe die Nacht überstehen. Meist nutzen sie Frostkerzen. Das sind 30 cm hohe Metallkübel, die mit Paraffin gefüllt sind. Mit ihnen kann man die Luft ein wenig aufwärmen. 200 Kerzen auf einem Hektar können 2 °C Unterschied schaffen. Bei 400 Kerzen kann man die Luft um 4 – 5 °C erwärmen - aber nur unter idealen Bedingungen. Sobald es nicht windstill ist und kalte Luft nachfliesst, wird es für Winzer schwierig: Die Kerzen haben nicht die Energie, so grosse Luftmassen zu erwärmen. Der Kampf gegen Frühjahrsfrost ist eine Materialschlacht, die sich meist über mehrere Nächte zieht. Eine Frostkerze kostet zwischen 10 und 15 CHF im Grosshandel und sie brennt lange genug, um eine Nacht zu überstehen. Neben den Kerzen gibt es auch nachfüllbare Alternative, die in der Anschaffung jedoch deutlich über dem Preis für Paraffin Kerzen liegen. Pro Hektar kostet eine Nacht somit schnell 4000 bis 5000 CHF– aber der Verlust der Ernte wiegt schwerer.

Die Erfahrung zeigt, dass die Pflanzen nach einem Frostjahr bis zu 30 % mehr Trauben produzieren und im zweiten Jahr ante Frost immerhin noch 15 % mehr als in normalen Jahren.

Meteorologisch kommt es auf der Nordhalbkugel im Frühjahr aus demselben Grund zu Spätfrost aus dem es das April-Wetter gibt. Das Wasser des Atlantiks im Westen ist nach dem Winter noch kühl und es braucht lange, bis es sich unter der Sonne aufwärmt. Die Landmasse Kontinentaleuropas erwärmt sich deutlich schneller. Dadurch gibt es einen grossen Druckunterschied von Westen nach Osten, der auch zu starken Winden führt. Die aufgewärmte Luft steigt auf und die kältere Luft aus dem Westen wird nachgezogen. Das passiert in allen Atmosphärenschichten und die Höhenwinde können dabei den Jetstream verändern. Dadurch kann es zu Wetterlagen kommen, bei denen der Jetstream Polarluft Richtung Europa zieht. So kann es passieren, dass es an einem Tag 20 Grad warm ist und es in der nächsten Nacht friert: Der Volksmund nennt das Aprilwetter.

Mehrere Frostfeuer in Frostnacht 2016 Kartause Ittingen.

Mehrere Frostfeuer in Frostnacht 2016 Kartause Ittingen.

Die Polarluft kann sogar die iberische Halbinsel erreichen und sie bringt die gefürchteten Frostnächte mit sich. Die Polarluft ist trocken, sie vertreibt die Wolken und die Nächte werden klar. Das führt zu einer grossen Temperaturabstrahlung, da die Wärme ungebremst Richtung Atmosphäre abzieht, und es kommt zu Bodenfrost – dem Feind der Reben. Die kalte Luft sammelt sich in Senken, wo die Luft nicht abfliessen kann und sie bildet Kaltluftseen. Man kann versuchen diese Kaltluftseen mit Frostkerzen aufzuwärmen. Bei einer normalen Frostnacht fallen die Temperaturen von Mitternacht bis zum Morgen unter null. Sobald es kalt wird, werden die Kerzen entzündet, die eine Brenndauer von 8 Stunden haben. Das gibt ein bisschen Puffer, bis die Temperaturen nach dem Sonnenaufgang wieder über Null steigen. Wenn durch die Wetterlage jedoch kalte Luft als Boden-naher Wind nachströmt, dann helfen auch keine Kerzen. Im heftigen Frostjahr 2016 / 17 wurde im Bündnerland erfolglos versucht, die Luftschichten mithilfe von Helikoptern durchzumischen und die Frostbecken aufzulösen – in den USA werden dafür halbwegs erfolgreich Ventilatoren eingesetzt.Es kann bei solchen Fallwinden zu spannenden Phänomenen kommen: 2017 kam eiskalte Luft mit einer Bise (Nordostwind) in die Nordostschweiz. An der eigentlich der Sonne zugewandten Nordseite des Zürichsees sind alle Triebe erfroren, doch auf der Südseite gab es keinerlei Schäden: Der See konnte auf 2 km die Winde genug aufwärmen, dass die Triebe auf der anderen Seeseite keinen Schaden nahmen.

Der Klimawandel spielt für den Frühjahrsfrost eher eine indirekte Rolle:Da die Winter im Schnitt milder und kürzer sind und es im Frühling früher warm. Das heisst, dass die Pflanzen früher austreiben und Frostnächte, die früher noch in den Winter gefallen wären, nun problematisch werden. Es gibt Reben die später austreiben, aber das heisst nicht, dass diese übers Jahr besser angepasst sind. Es scheint auch so zu sein, dass die Frequenz der Frostjahre zunimmt. Gab es früher im Schnitt alle 10 bis 20 Jahre heftige Jahre (zwischen 1950 bis 1980 gab es quasi kein Frostjahr), haben wir mit 2016,2017 und 2021 in den letzten fünf Jahren bereits drei Frostjahre gezählt.

In einem Frostjahr ist die Rebe extrem unproduktiv, doch scheint es so, dass sie die verlorene Saison in den kommenden Jahren aufholen will. Die Erfahrung zeigt, dass die Pflanzen nach einem Frostjahr bis zu 30 % mehr Trauben produzieren und im zweiten Jahr ante Frost immerhin noch 15 % mehr als in normalen Jahren. Nach den Fostjahren 80 und 81 kam es in der Romandie zur berühmten Chasselas-Schwemme. Damals haben die Schweizer Winzer noch nicht auf extremes Qualitätsmanagement durch Ertragsregulierung gesetzt und die Winzer füllten 1982 ganze Schwimmbecken mit Chasselas, um ihn unterzubringen.

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